Wer heute besser schreiben möchte, kann von einem Altmeister lernen. Brecht und Webtexte? Zwei Welten ohne Zusammenhang? Mitnichten! Viele Websites wären viel erfolgreicher, wenn heutige Texter ein paar Grundregeln aus dem Werk des großen Dichters beherzigen würden. Hier sechs knackige Beispiele mit Brecht-Power.

Bertolt Brecht gehört zu den weltweit meist gespielten deutschen Dramatikern. Er gilt als einer der bedeutendsten Autoren und Lyriker, Theatertheoretiker und -praktiker des 20. Jahrhunderts. Brecht war unbequem, er war gesellschaftskritisch und er war widersprüchlich – alles keine idealen Eigenschaften, um ihn in seiner Geburtststadt Augsburg gut anzukommen – zumindest noch vor einigen Jahrzehnten. Heute ist Augsburg aber ganz schön stolz auf ihren Brecht. Und darum gibt es nun seit 2010 jedes Jahr ein Brechtfestival mit jeder Menge Theateraufführungen (sanierungsbedingt allerdings dieses Jahr ohne Theater – also ohne Großes Haus), Konzerten, Lesungen, Diskussionen und einem Poetry Slam Abend.

Anlass genug, um einmal aus Texterinnen-Perspektive auf die Sprachkraft von Brecht zu schauen. Wie können wir alle von der Brecht-Power profitieren?

Besser schreiben durch Überraschung und Provokation

Erst wenn Bekanntes und Alltägliches in einem ungewohnten Zusammenhang stehen, beginnt die Denkarbeit. Das wusste Bertolt Brecht. Und er setzte in seinen Theaterstücken auf verfremdende Effekte, um an den Gehirnzellen des Publikums zu zwirbeln.

Was bringt das Textern? Wer als Texter das Publikum erreichen möchte, muss ebenfalls Unerwartetes und Überraschendes liefern. Denn die Aufmerksamkeit des Internetnutzers ist bekanntlich kürzer als diejenige eines Goldfisches. Wer aber provozieren kann, der fesselt. Ein anerkanntes Stilmittel für aufmerksamkeitsstarke Überschriften ist es etwa, Sprichwörter abzuwandeln. Brecht hat das ebenfalls getan. Wir alle kennen seinen Satz: “Wer A sagt, muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war.”

Besser schreiben mit klaren Aussagen

An der BILD-Zeitung scheiden sich die Geister. Kein Qualitätsblatt, doch millionenfach gelesen. Brecht hätte das Blatt verachtet – soviel darf vermutet werden. Dennoch: In der boulevardesken Verkürzung und Zuspitzung steckt auch eine gewisse Kunst. “Wir sind Papst” war ein Knüller unter den BILD-Schlagzeilen. Knapp, Aufsehen erregend, mutig. Starke, prägnante Sätze kennen wir auch von Brecht. “Das Schicksal des Menschen ist der Mensch” ist solch ein Satz.

Was bringt das Textern? Wer als Texter gute Websites texten will, braucht immer wieder den Mut, komplexe Sachverhalte zu klaren und knappen Aussagen zu verdichten.

Besser schreiben mit angepasster Sprache

“Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral” lautet ein berühmtes Zitat aus der legendären “Dreigroschenoper”. Das Theaterstück war auch deswegen so erfolgreich seit der Uraufführung im Jahr 1928, weil Brecht den Leuten aufs Maul geschaut hatte. Die kleinen Berliner Leute aus dem Volk erkannten sich wieder in den Figuren auf der Bühne.

Was bringt das Textern? Auch Texter müssen genau wissen, an wen sich die zu betextende Website richtet. Fachpublikum oder Laien, ernstes Spezialthema oder leichtfüßige Unterhaltung? Jede Zielgruppe verlangt nach ihrer eigenen Tonalität.

Besser schreiben durch den Willen zur Veränderung

Konventionen verlassen, bekannte Formen der Künste überschreiten und Veränderungen schaffen – das waren Bert Brechts Ideale. Er stand dem Kommunismus nahe und prangerte in vielen Werken den Kapitalismus an. In „Die Maßnahme“ heißt es: “Ändere die Welt: sie braucht es!“. Dieses Zitat steht als Leitspruch über dem Brechtfestival von 2017.

Was bringt das Textern? Etwas ändern wollen, vorhandene Strukturen durchbrechen – das machen auch Texter, die sich mit Websites befassen. Vor allem wenn es um einen Relaunch geht. Oder wenn die Wünsche des Kunden wie eine undurchdringliche Mauer aus konservativen und überholten Ansprüchen vor dem neuen Konzept steht (das ist mir zum Glück nie passiert, ich hatte immer nur aufgeschlossene Kunden – aber man hört ja so einiges…). Brecht hat gekämpft. Darum ist dieser Ausspruch auch so bekannt: “Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.”

Besser schreiben durch direkte Ansprache

Keine Illusion, aber bewusste Reflektion über das Erlebte – das wollte Brecht mit seinem berühmteste Kniff überhaupt erreichen. Der sogenannte “V-Effekt”, also der “Verfremdungseffekt” als ein wesentliches Kennzeichen seines “epischen Theaters” sollte dafür sorgen, dass das Theaterpublikum sich nicht einlullen ließ. Brecht ließ seine Schauspieler immer wieder aus der Rolle schlüpfen. Sie wandten sich dann etwa mit direkter Ansprache an das Publikum.

Was bringt das Textern? Wer eine Website textet, muss ebenfalls dafür sorgen, dass der Zielgruppe die eigentliche Botschaft immer wieder vor Augen geführt wird – etwa durch klare Handlungsaufforderungen, also Call-to-Action-Elementen.

Besser schreiben durch Nutzen aller Kanäle

Bertolt Brecht hätte Video und Social Media genutzt – hätte es diese Kanäle zu seiner Zeit nur schon gegeben! Das ist natürlich eine Vermutung. Aber warum nicht? Brecht war ein moderner Künstler, der das Theater revolutionierte und mit Alterhegebrachtem brach. Er interessierte sich für Film und Radio. Und er wollte möglichst viele Menschen mit seiner Botschaft erreichen, die “Massen”, das “Kollektiv”. Beides wäre mit Neuen Medien leichter gewesen.

Was bringt das Textern? Wer heute eine Website erstellt, muss ebenfalls dafür sorgen, dass die Botschaft so weit wie möglich verbreitet wird. Und das heißt natürlich in erster Linie: Dass Google die Seite möglichst auf der ersten Seite der Suchergebnisse zeigt. Wer hier auf weitere Kanäle setzt und etwa Facebook, YouTube und Instragram nutzt, erhöht die Reichweite.

Fazit

Zugegeben: Der Vergleich Brecht – Websitetexte mit einem Schwenk über BILD-Zeitung & Co ist ein wenig an den Haaren herbei gezogen. Aber ein Wechsel in der Perspektive tut der Schreibenden gut. Und dem Lesenden.

Wie könnte ein Blogbeitrag über Brecht besser schließen als mit einem seiner berühmten Zitate, das durch den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki traditionellerweise als Abschiedsformel der TV-Sendung “Das literarische Quartett” verwendet wurde:

“Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen/ Den Vorhang zu und alle Fragen offen.”

Zum Weiterlesen:

Brecht in Augsburg: Spurensuche zu literarischen Orten